Rasanter Aufstieg, Krise und dann Comeback mit Stern: Markus Semmler, Berliner Meisterkoch 2016, im Lounge-Gespräch über ein Leben mit Höhen und Tiefen aber immer ein Leben für die Gastronomie.
Text: Hannah Schraven, Bild: Alejandra Loreto
Markus Semmler empfängt mich in der Zigarrenlounge seines Restaurants. „Maskulin”, so wird diese Räumlichkeit auf der Homepage beschrieben. Zurecht. Ich habe das Gefühl, im schwarzen Ledersofa zu versinken, als ich dem freundlichen Zweimetermann gegenüber sitze. Die Säulenlampen strahlen ein diffuses und warmes Licht nach oben – so ungefähr habe ich mir Mark Twains Kaminzimmer immer vorgestellt. Markus Semmler entfacht derweil kunstvoll und mit großer Flamme eine handgefertigte Havanna. Nicht ohne Grund heißt sein Jagdhund „Cuba”. Das honigfarbene Fell des Rhodesian Ridgeback glänzt, als er sich behaglich zu seines Herrchens Füßen hinlegt.
Wie oft Markus Semmler Zeit für Momente wie diesen hat, weiß ich nicht. Ich weiß, das Gastronomie Knochenarbeit ist. Erst recht die am oberen Rand. Die tägliche kulinarische Anstrengung und die Betriebsführung – das braucht Kraft und ein breites Kreuz. Der geborene Gastronom Markus Semmler hat wohl beides.
Warum hat sich der Mann, der jetzt so lässig in den knautschigen Polstern lehnt, dem harten Wettbewerb in der Spitzengastronomie gestellt? Wie ist er überhaupt in die Szene gelangt?
Markus Semmler war gewissermaßen schon immer da. Geboren in eine Gastwirtsfamilie im hessischen Dorf Altmorschen, half er schon als Knirps im Service aus. Die Leidenschaft für alles Kulinarische wuchs mit. Es folgte die Kochlehre in einer Betriebskantine, dann kamen die Hotelfachschule und die Bundeswehr. Hinterher erste Erfolge in Hotelküchen und das, obwohl er „von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte“, wie er heute selbst sagt. „Für das Risotto, das ich da gekocht habe, würde ich mich heute am liebsten erschlagen.“
Semmler, übrigens Liebhaber schneller Fahrzeuge und erfolgreicher Teilnehmer an Porsche-Cups, drückt dann bei seinem gastronomischen Aufstieg das Gaspedal ganz durch: Erstmals Küchenchef mit 25, in Berlin 1996 Aufsteiger des Jahres und 1990 Meisterkoch. 2000 kürt ihn der Gault und Millau zum Restaurateur des Jahres.
Doch so rasant der Aufstieg, so ungebremst der Flug aus der gastronomischen Erfolgskurve. Im Jahre 2000 rutscht er, von Partnern über den Tisch gezogen, mit seinen beiden Restaurants Mensa und Stil in eine krachende Pleite. „Danach habe ich zwei Jahre lang geackert wie ein Wildpferd, um die Schulden abzubezahlen.“ Er tut das im Catering und im neuen Lokal auf Sylt. Seine Devise: „Man muss immer einmal öfter aufstehen als hinfallen.“
„Man sollte immer einen Partner an der Seite haben, der das Rechnen beherrscht“
Vielleicht schafft er es deshalb zurück an die Spitze. 2011 steht er in der Sächsischen Straße wieder ungeduldig in der Startreihe. Aber die Rallye Haute Cuisine fährt er jetzt nicht mehr allein. In der Zwischenzeit hat Markus Semmler seine Frau Tatiana kennengelernt, die dafür sorgt, dass „Das Restaurant“ betriebswirtschaftlich Bodenhaftung behält. Semmler ist dankbar: „Gastronomie lässt sich auch mit der größten Erfahrung nicht erklären. Man sollte immer einen Partner an der Seite haben, der das Rechnen beherrscht.“
Was ist, neben dem wirtschaftlichen Risiko, eigentlich die größte Herausforderung im Beruf des Gastronomen?
Markus Semmler nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarre. „Eigenmotivation“, sagt er und stößt einen Rauchkringel in die Luft. „Will man es wirklich schaffen und auf eigenen Beinen stehen, muss man sehr große Opfer bringen.“ Lange Jahre habe er überhaupt nicht gewusst, was Freundschaften bedeuten. Erst mit Tatiana habe sich das geändert: „Sie hat mich gewissermaßen sozialisiert.“
„Will man es wirklich schaffen und auf eigenen Beinen stehen, dann muss man sehr große Opfer bringen“
Nicht nur das: Ohne Tatiana hätte Markus Semmler Berlin womöglich den Rücken gekehrt. In den Westberliner Gourmet-Territorien in Charlottenburg und Wilmersdorf fühlt er sich inzwischen zu Hause. „Durch die Kiez-Kultur kann man in Berlin leben wie in einem Dorf. Das ist es, was ich an der Stadt besonders schätze.“
Und mit welchen drei Adjektiven würde er die Gastroszene Berlins beschrieben?
Da lehnt sich Markus Semmler ins Polster zurück und muss kurz nachdenken. „Vielfältig, niveauvoll und außerordentlich“, lautet die Antwort nach kurzem Zögern.
Besonders freut Semmler, „dass Kollegen, die uns hier besuchen, jedes Mal die Kappe vor unserer Leistung ziehen.“ Seit 2015 trägt seine Küche den ersehnten Michelin-Stern, 2016 ist er wieder Berliner Meisterkoch. Als Gastgeber bietet er in „Das Restaurant“ lediglich ein Menü an, lässt die Gäste aber zwischen vier und neun Gängen wählen. Das kulinarische Konzept: klassisch-traditionelle Kochkunst mit hochwertigen Grundprodukten in kreativen und modernen Kompositionen. Die Gäste strömen. Die Kritik jubelt.
Doch nicht nur im eigenen Lokal schwingt Markus Semmler mit seiner Crew den Kochlöffel. Zusätzlich zum Restaurant stemmt er auch noch einen Cateringservice. Mal eben tausend Leute am Abend mit noblen Leckereien versorgen – das kann nicht jeder. Semmler schöpft daraus Selbstbewusstsein: „Ich würde schon sagen, dass wir der beste Caterer Deutschlands sind.“
„Ich werde in der Küche mein letztes Mahl nehmen und am Herd umkippen“
Kann sich Markus Semmler ein Leben ohne die Anstrengung, das Adrenalin und die Anerkennung in der Gastronomie vorstellen? Da muss er kehlig lachen: „Auf gar keinen Fall. Ich werde in der Küche mein letztes Mahl nehmen und am Herd umkippen.“ Aber dann räumt er seine zweite große Leidenschaft ein, das Tauchen. Irgendwo eine Tauchschule, mit einem kleinen Restaurant am Meer… Ja, das könne er sich schon vorstellen.
Bis dahin wird es aber noch dauern. Inzwischen ist es ein Uhr mittags, die Zigarre längst kalt. Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen. Markus Semmler erhebt sich, sein Hund Cuba tut es ihm nach. Zwei Hünen bewegen sich sanften Schrittes aus der Zigarrenlounge.
Das Interview für das Buch „Gastro.Startup.Berlin“ fand im Frühjahr 2017 statt.