Sinnlichkeit und Lust und Freiheit: Maximilian Strohe komponiert mit seiner leidenschaftlichen Küche im „tulus lotrek“ eine Hymne an den prallen kulinarischen Genuss.
Text: Rebecca Hoffmann, Bild: Alejandra Loreto
Die Fichtestraße in Berlin-Kreuzberg ist eine Straße, die man vielleicht übersehen könnte, die mehr Wohn- als Ausgeh-Atmosphäre hat. Hinter kupferfarbenen Laternen und dunklen Hecken versteckt sich das vom Rheinländer Maximilian Strohe und seiner schwäbischen Lebensgefährtin Ilona Scholl geführte Restaurant „tulus lotrek“. Schon der falsch geschriebene Künstlername lässt Strohes Lust am Spielerischen und Ausgelassenen erkennen. Seine Homepage wendet sich „an alle militanten Bacchanten, Sich-das-Brett-Geber mit Fettleber, Gürtelweiterschnaller, Korkenknaller, liebe Alleswoller & Nichtsbereuer“. Lebemann Toulouse-Lautrec wäre begeistert. Weder klassisch noch französisch – Max Strohe serviert eine Küche, die leidenschaftlich und prall ist und sich nicht in Schubladen pressen lässt. So wenig wie er selbst, wie sein O-Ton zu den Stichworten, über die ich mit ihm gesprochen habe, verrät.
Start
„Ich konnte einfach nicht mehr die Konzepte anderer Menschen leben, weil ich mich da nicht mehr wiedergefunden habe. Daraus entstand der ursprüngliche Plan, um jeden Preis einfach Wirt zu werden und was Eigenes zu machen. Gott sei Dank gab es dann auch Ilona. Es war nicht so leicht sie zu überzeugen. Sie hatte schon Lust, aber ihr war das Risiko der Selbständigkeit zu hoch. Ich bin da schmerzfrei und denke immer, das wird schon gut gehen und wenn nicht, habe ich es wenigstens probiert.”
Durchhalten
„Tiefpunkte gab es bestimmt. Ich reagiere aber auf so etwas mit Aggression. Ich bin eher einer, der auf Angriff geht. So läuft das bei mir. Das heißt, ich bin dann kurz verschreckt, demotiviert oder irritiert, aber das hält nur sehr kurz an und dann gehe ich in den Angriffsmodus. Dann presche ich halt wieder los. Klar, man zweifelt irgendwann an der Entscheidung und denkt jetzt arbeitest du dir den Buckel rund und verdienst keine Kohle. Aber ich glaube, man muss in kleinen Schritten denken: Wir ziehen den Boden ab, dann brauchen wir Tische. Eins nach dem anderen machen.”
„Ich glaube, man muss in kleinen Schritten denken: Wir ziehen den Boden ab, dann brauchen wir Tische“
Konzept
„Das Ganze muss irgendwie reinpassen in das Leben von Toulouse-Lautrec. Wir können jetzt nicht anfangen und nordische Küche machen. Das funktioniert nicht. Es braucht schon so einen richtigen Toulouse-Lautrec’schen Gang, bei dem sich die Leute reinlegen können und der sie glücklich macht und beseelt.“
Gäste
„Die Leute sollen bis in die Puppen bleiben können. Was wir machen, muss geschmacklich reinhauen. Wir kochen ja nicht subtil hier. Der Plan muss sein: da muss jemand kommen, der sagt er will einmal alles und am Ende auch mit dem Stuhl nach hinten kippen.“
„Die Leute sollen bis in die Puppen bleiben können“
Kommunikation
„Wir sind eher still, wir sind nicht dogmatisch, wir erzählen keinem, dass es gesund ist und gut ist hier zu essen, und dass man hier eine glücklich gestorbene Kuh bekommt. Das ist eigentlich auch ein Stück weit selbstverständlich, dass man solche Lebensmittel auf diesem Niveau anbietet. Ich glaube die Leute wissen damit umzugehen, dass sie hier machen können, was sie wollen.“
Heimat
„Naja, meine Küche als Ort ist keine Heimat, kulinarisch ist es auch nicht Heimat für mich. Ich bin sehr gerne in der Küche, das ist ein Zuhause, aber keine Heimat. Heimat ist kein Ort, das ist eher ein Gefühl. Ich glaube, wenn ich jetzt an Heimat denke, dann denke ich an meine Oma in Ahrweiler und Apfelpfannkuchen und ich bin noch klein. Aber richtig definieren könnte ich es nicht.
Meinen Geschmack geprägt hat ganz entschieden mein Vater. Zum 18. Geburtstag hat er mich zum Essen eingeladen. Es gab Stopfleber und dazu haben wir drei Flaschen Wein getrunken. Ich kannte das zwar, durfte das aber in der Ausbildung nie probieren, da es zu teuer war. Dann haben wir den Sommer über gemeinsam gekocht, was mir einen anderen Blick auf meinen Beruf gegeben hat. Das wurde dadurch noch mehr zur Passion, als es vorher war.“
Trends
„Früher hab ich mich eher an anderen orientiert. Wenn ich jetzt essen gehe, dann esse ich das und bringe das nicht in den Kontext mit ein, in dem wir hier kochen. Früher hab ich auch in Kochbücher geguckt, aber das blockiert mich mittlerweile eher. Vielleicht weiß ich also gar nicht, was Trend ist. Vielleicht ist da was, was ich noch gar nicht mitbekommen habe, aber ich denke, das ist ganz gut, dass wir im Hinterhof versinken und gucken was passiert. Und manchmal kommt ein Lieferant und bringt ein neues Produkt mit, mit dem wir dann was ausprobieren. Aber vielleicht werden wir öfter die Karte wechseln. Wir wollen ja, dass die Leute wiederkommen.“
„Früher hab ich mich eher an anderen orientiert. Wenn ich jetzt essen gehe, dann bringe ich das nicht in den Kontext mit ein, in dem wir hier kochen“
Ideen
„Ich hab die Ideen meistens im Bett. Wenn ich im Restaurant sechs Tage die Woche bin, fällt mir nichts ein. Ich muss alleine sein und wenn es soweit ist, dann führe ich Selbstgespräche und lese. Und meistens probiere ich morgens dann alleine Neues aus.“
Am liebsten würde man also daneben stehen und sehen, was er da genau zubereitet. Als ich noch wissen will, was denn die ganz besondere Tulus-Lotrek-Zutat sei, war die Antwort: „Ausgelassenes Ochsenmark ist das Tulusgewürzding!“ Max’ unbedingte Lust und Leidenschaft für die Küche und den Genuss sind in jedem Satz zu spüren. Mit Max Strohe, dem Aufsteiger des Jahres der Berliner Meisterköche 2016, ist ein Chef in Berlin angekommen, mit dem es so richtig Spaß macht zu reden, zu lachen, zu genießen und zu feiern und dessen Küche prall, leidenschaftlich und auch etwas derb ist. Denn essen soll doch am Ende vor allem Genuss und Liebe sein. Ich habe mir zumindest den Gürtel gedanklich schon mal weiter geschnallt.
Das Interview für das Buch „Gastro.Startup.Berlin“ fand im Frühjahr 2017 statt.