Lale Yanik und Arzu Bulut sind „Osmans Töchter“. Bedenkenträgern zuzuhören – das haben die beiden bei der Gründung am Prenzlauer Berg schnell aufgegeben. 

Text: Romy Kranzusch, Bild: Alejandra Loreto

 

Irgendwann aus dem Berufsleben aussteigen und ein eigenes Restaurant oder Café aufmachen, davon träumt fast jeder einmal. Während die einen ewig in den Tag träumen, machen andere ihre Träume wahr. So wie Lale und Arzu. Ich sitze in der Etage über ihrem Restaurant „Osmans Töchter“ und lausche einem gastronomischen Märchen aus 1001 Nacht.

Allein ihre Biografien würden ein halbes Buch füllen. Lale und Arzu wuchsen als zweite Generation türkischer Migranten in Deutschland auf. Die damit einhergehenden Konflikte zwischen Tradition und westlicher Lebensweise blieben nicht aus. Lale wird Schauspielerin in München. Arzu studiert BWL in Berlin und arbeitet in verschiedenen Bereichen. Irgendwann lernen sie sich bei einem befreundeten Gastronomen kennen und entdecken schnell Gemeinsamkeiten. Beide kochen schon immer sehr gerne und noch lieber für Freunde. Die Liebe zur Gastgeberschaft lässt sie den Plan fassen, gemeinsam ein eigenes Restaurant aufzumachen.

Die Idee dahinter klingt einfach: Die gute türkische Küche, wie sie in Familien von Generation zu Generation weitergegeben wird, aus den heimischen vier Wänden befreien, modernisieren und dem Berliner Gaumen näherzubringen. Schließlich assoziieren nicht wenige Berlinkenner türkisches Essen mit altmodisch gefliesten Dönerbuden, in denen ein fahler Spieß träge seine Runden dreht, Ayran aus dem Plastikbecher fließt und die helle Neonbeleuchtung nicht gerade zu ausgiebigem Verweilen einlädt.

„Das Konzept von „Osmans Töchter“: Klischees über türkische Küche aus dem Weg räumen“

Diese Klischees wollen Lale und Arzu aus dem Weg räumen, als sie ihr Restaurant am Prenzlauer Berg eröffnen. In der Nachbarschaft: Italiener mit preiswerten Mittagsangeboten, hippe Künstlercafés und raumschiffartige Startup-Workingspaces. Von Efeu umrankte Altbauten protzen mit ihren frisch renovierten Fassaden. Junge Familien flanieren entspannt unter den bunten Markisen vorbei. Vor der Fensterfront des Restaurants stehen Touristen, blättern unsicher in ihren Reiseführern, bevor sie erwartungsvoll eintreten. Drinnen treffen sie auf die genießerische Einigkeit von Grand Dames aus Charlottenburg und hippen Künstlerpärchen. Hinter einer Glasscheibe gehen die Köche entspannt ihrem Handwerk nach. Die Kellnerinnen schwirren lässig zwischen den Tischen durch, organisieren, empfehlen und tischen auf. Wer das Restaurant betritt, fühlt sich wie ein willkommener Gast bei einem Dinner mit Freunden.

Nicht durch pseudoorientalischen Prunk besticht das Interieur bei „Osmans Töchtern“, sondern durch Schlichtheit. Die Wände sind schlicht, über den schlichten Holztischen hängen Sträuße von Deckenlampen aus Einmachgläsern. Berliner Industriecharme vom Feinsten. Nur die Familienbilder aus den 70er Jahren lassen auf den Migrationshintergrund der Gründerinnen schließen.

Auch die Speisekarte spiegelt Lales und Arzus eigenen Weg zwischen Tradition und Moderne wieder: Schafskäsecreme mit Krokant und Trüffel trifft auf Fisch-Köfte. Karamellisierte Zwiebeln mit Ziegenkäse werden mit Rote Bete aus dem Ofen abgerundet. Ihre Inspirationen holen sie sich dabei am liebsten aus Istanbul: „Warum soll man die schönen Sachen in dem Land lassen?“, erklärt Arzu. „Die meisten Gastronomen trauen sich das nicht, bleiben lieber beim Gewohnten.“ Klassischer wird es wiederum bei der Präsentation der Speisen: Viele kleine Portionen, die man sich am Tisch teilt, so wie es in der Türkei üblich ist. Lale gesteht: „Wir wollen unseren Gästen das Teilen näher bringen, indem wir die Hauptgänge rausgenommen haben. Das ist schöner als wenn man wartet, jeder für sich eine halbe Stunde isst und dann geht.“

„Nach anfänglicher Skepsis siegt die unternehmerische Neugier“

Es war ein langer Weg für „Osmans Töchter“. Angefangen hat alles mit dem Tipp eines Freundes, das Objekt in der Pappelallee anzuschauen. „Never ever!”, waren sich beide einig. In dieser Straße nur ein tristes Finanzamt.

„Die haben alle ihre Stullen dabei, andere Restaurants sind dort schon pleite gegangen, das machen wir nicht! Niemals!“ Einige Wochen später siegt bei Arzu die Neugier. Sie besorgen Kreide, halten sich tagelang in den leeren Räumen auf und beginnen zu planen. Vom Fettabschneider bis zu den Wasseranschlüssen, alles malen sie auf, spielen potentielle Restaurant-Szenarien durch. Aber erst nach sechs Monaten unterschreiben sie den Mietvertrag. Die folgende Zeit bringt die Neu-Gastronominnen an Grenzen. Handwerker, die ihnen unnötige Maßnahmen aufschwatzen wollen, der komplizierte Denkmalschutz und sich langsam erschöpfende Rücklagen. Alles zäh wie ein alter türkischer Harzkaugummi. Ob sie damals Ratschläge von anderen Gastronomen bekamen? Arzu nickt: „Wir sind zu anderen Gastronomen gefahren, haben bei ihnen gegessen und uns Tipps geholt. Ganz ehrlich, mir haben all diese Gespräche nur schlaflose Nächte bereitet. Alle haben mir nur Angst gemacht.“

„Die Rettung: Ein Papier mit allen Problemen – und deren Lösung

Nun standen nur noch zwei Optionen im Raum: das Restaurant aufgeben oder durchkämpfen. Die Rettung brachte ein einfaches Stück Papier, auf dem die beiden noch einmal alle Probleme und die passenden Lösungen in einer Tabelle aufgelistet hatten. Das Blatt hängt noch heute als eine Art Trophäe im Büro. Es erinnert die beiden daran, dass es oft besser ist, aus dem eigenen Bauch und vor allem selbst zu entscheiden.

Arzu und Lale nehmen noch immer vieles selbst in die Hand. Loslassen fällt ihnen schwer. Die großen Entscheidungen wie die kleinen Details – alles trägt ihre persönliche Handschrift. Darum arbeiten die beiden heute auch nicht nur mit sogenannten Profis zusammen. Lieber stellen sie zusätzlich ungelernte Kräfte ein. Am liebsten Frauen. Eine Hausfrau würde nie Lebensmittel verschwenden. Anstatt das Fruchtfleisch am Stiel der Paprika wegzuwerfen, kochen sie es lieber als Suppe ein. Die Liebe zum Detail, die Sorgfalt und Leidenschaft spüre man doch auch im Essen, meint Arzu.

Am Ende noch schnell die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, weitere Restaurants aufzumachen. Die Antwort kommt prompt: „Nein, „Osmans Töchter“, das sind wir. Ohne uns wäre es nicht das Gleiche, wir könnten das alles hier nicht alleine lassen.“ Arzu zwinkert mit den Augen: „Andererseits… bei der Pappelallee haben wir auch zuerst niemals gesagt.“

 

Das Interview für das Buch „Gastro.Startup.Berlin“ fand im Frühjahr 2017 statt.

 

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