Meisterkoch Willi Schlögl spricht mit seiner Weinkneipe „Cordobar“ in Berlin-Mitte ein sehr heterogenes urbanes Publikum an. Wirklich zufrieden ist er, wenn Gäste und Personal den Laden happy verlassen.
Text: Hannah Schraven, Bild: Alejandra Loreto
Die „Cordobar“ hat noch nicht geöffnet und doch kann ich den Wein schon aus der Luft heraus schnuppern. In spärlichem Licht reihen sich die graziösen Hälse der Gläser aneinander. Das holzlastige Interieur verströmt ein angenehm schummriges Flair. Angesichts der vielen edlen Tropfen könnte man dem Irrtum verfallen, Berlins innovativste und am meisten gefeierte Weinbar sei ein Ort für die typische Mitte-Schickeria. Doch ich fühle mich auf Anhieb wohl. Hier kann ich mich hemmungslos durch eine buchdicke Karte an deutschen und österreichischen Spitzenweinen schlürfen und den Magen vorher mit Leckereien wie Glattbuttpasta oder Spitzkrautrisotto rüsten. Dass die „Cordobar“ alles andere als snobby ist, bestätigt auch ihr Mitbegründer Willi, als er lässig in Trainingshose durch die Tür tritt und mit österreichischem Akzent und viel Herz sein Personal begrüßt.
Vier leidenschaftliche Köpfe stecken hinter der Bar: der Gastronom Gerhard Retter, Plattenlabelbesitzer Christof Ellinghaus (City Slang), Regisseur Jan-Ole Gerster („Oh Boy!“) und Willi Schlögl, der 2016 zum Sommelier des Jahres gekürt wurde.
Doch jetzt mal von Anfang her: Wie wird man denn als junger Mensch zum Weinliebhaber? Willi weiß, wie es kam: „Meine kulinarische Erweckung fand auf der Tourismusschule Bad Gleichenberg statt. Dort habe ich mir ein Zimmer mit dem Sohn eines Weingastwirts geteilt.“ Der brachte gerne mal den ein oder anderen feinen Tropfen mit, den die beiden dann eher dilettantisch aus Zahnputzbechern verköstigten. Man lobe Österreich: Als die Lehrer davon Wind bekamen, führten sie kurzerhand einen Jungsommelier-Kurs ein. „Da habe ich angefangen, mich intensiv mit Wein zu beschäftigen.“
Mit Gerhard Retter, Jan-Ole Gerster sowie Christoph und Gudrun Ellinghaus kam Willi eher zufällig zusammen, der gemeinsame Nenner ist die Leidenschaft für Wein. „Christoph und Gerhard haben sich auf einer Weinreise kennengelernt und ich habe eine Zeit lang in Gerhard Retters Hotel in Hamburg gearbeitet“, erklärt Willi. Auf die Idee, einen eigenen Laden in Berlin zu gründen, kamen die Fünf dann eines Abends, natürlich über einem guten Glas. „Anfangs war das mehr ein Hirngespinst, als ein ernstzunehmendes Vorhaben. Aber irgendwann haben wir es dann gewagt.“
„Die größten Stressfaktoren? Definitiv die Behördengänge und der Versuch, mit so vielen Personen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen“
Bei der Suche hatten sie Glück, die „Cordobar“ war unter den ersten drei Locations dabei. Von dem Einzug bis zur Eröffnung dauerte es dann gerade mal fünf Monate. Die größten Stressfaktoren? „Definitiv die Behördengänge und der Versuch, mit so vielen Personen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen“, sagt Willi und lacht. „Da wurden schon mal wegen Dingen wie der richtigen Wandfarbe die Köpfe aneinander gerieben.“
Von dem ursprünglichen Konzept, zum Wein nur Stullen zu servieren, verabschiedeten sich die vier schnell. „Die Küche war schon eingebaut und der Sternekoch Lukas Mraz gerade frei. Der hat uns dann nach oben gekocht.“
„Wirklich zufrieden bin ich, wenn sowohl die Gäste als auch das Personal den Laden happy verlassen.“
So wurde aus der „Cordobar“ eine „Weinkneipe mit Essen“, wie Willi das kulinarische Konzept beschreibt. Auf die Frage, was die „Cordobar“ besonders gut kann, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: „Besinnungslosigkeit.“ Das Besondere an der Bar nämlich ist die Heterogenität des Publikums. Um sechs Uhr kann man hier noch ganz gesittet die Schwiegereltern zum Essen ausführen, die dann nach Hause schicken und sich danach bis zum Morgengrauen in Ekstase trinken. Willi bekennt: „Wirklich zufrieden bin ich, wenn sowohl die Gäste als auch das Personal den Laden happy verlassen.“ Und das sind alle eigentlich jeden Abend.
Es ist kurz vor fünf, in einer Viertelstunde muss Willi zur Personalbesprechung. Wenig Zeit, um noch ein paar grundsätzliche Fragen loszuwerden. Warum Berlin und nicht Österreich, wo immerhin zwei der Gründer herkommen? Das hat mit der jungen und aufgeschlossenen Weinszene der Hauptstadt und ganz persönlichen Dingen zu tun. Willi hat hier einen Ruhepol gefunden, an dem er zwar immer dicht am Puls der Zeit, aber eben nicht mittendrin sein muss. „Mit dem heutigen Tempo mitzuhalten ist eine der größten Herausforderungen am Beruf des Gastronomen“, erklärt er. „In Berlin kann jeder frei nach Schnauze und nach seinem eigenen Rhythmus leben.“
„Mit dem heutigen Tempo mitzuhalten ist eine der größten Herausforderungen in dem Beruf des Gastronomen“
Die Bar in Mitte zu eröffnen, war eine taktische Entscheidung, da es in anderen Bezirken an Kaufkraft fehlt. Außerdem wäre die „Cordobar“ wohl kaum die „Cordobar“, würde sie sich nicht genau über jenes bunt gemischte Publikum definieren, das in Mitte verkehrt. „Von der Weinexpertin über Geschäftsleute und Familien bis hin zum österreichischen Touristen, der den Sieg über Deutschland nachfeiern will, haben wir alles dabei“, sagt Willi. „Cordobar“, das ist nämlich der Ort, an dem Österreichs Fußballer 1978 die DFB-Elf bezwangen.
Am Ende wage ich noch eine unbedarfte Frage: Was passiert, wenn man als absoluter Laie die „Cordobar“ betritt? Auch da muss Willi herzhaft lachen. „Zuerst würde ich einen Aperitif und Wasser anbieten. Dann würden wir anfangen, miteinander zu reden und zu trinken.“ Das klingt nach einem sehr guten Anfang für eine lange Nacht.
Das Interview für das Buch „Gastro.Startup.Berlin“ fand im Frühjahr 2017 statt.